Wenn ein Pastor stirbt: Der Tod meines Vaters

14. Nov.. 2025 / Campusleben / Wissenschaft & Forschung

Im September vor einem Jahr ist mein Vater gestorben. Er war 87 und im letzten Stadium einer Krebserkrankung, von der wir erst zwei Monate vorher erfahren hatten. Diesen Text habe ich zwei Tage vor seinem Tod angefangen zu schreiben – es war absehbar, dass es nicht mehr lange dauert. Dass es dann so schnell gehen würde, konnten wir nicht ahnen.

Die Tatsache. Ja, wir müssen alle sterben. Auch den meisten Tieren und Pflanzen geht es so – wir sind nicht ausgenommen aus dem Schicksal der ganzen Schöpfung. Und wir wissen, dass das so ist. Auch mein Vater wusste es, hat aber kaum darüber gesprochen. Selbst Pastoren stoßen an Themen, die ihnen unangenehm sind. Er hatte in Gedanken zwar schon die Möbel verteilt; dennoch hoffte er, der liebe Gott möge ihm noch ein paar Jahre geben. Oder wenigstens eines. Es war ja immer noch so viel zu tun; die To-Do-Liste blieb bis zum Ende vorhanden: alte Bekannte anrufen; Nachbarn einladen; ehemalige Gemeindeglieder besuchen. Alles mit dem Ziel, das Evangelium weiterzusagen. Vorbildlich: ganz der Pastor bis zum Ende.

Die Emotionen. Verdrängen mag dem Sterbenden helfen – für meine Schwester Suzanne und mich war das indes keine Option. Die Oberhand behielt die Nüchternheit; das Trauern und die Tränen kamen sporadisch und spontan: im Gespräch mit einer älteren Nachbarin; als die Palliativschwester kam, zwei Tage vor seinem Tod; plötzlich bei schöner Musik. Verzweiflung: bei meinem Vater in den letzten Wochen, als er nur noch mit Rollator gehen konnte und oft das kaum noch; in der Nacht hörte ich ihn ab und an zu Gott rufen. Angst dagegen: keine. Die Frage der Palliativärztin verneinte er souverän. Manche Menschen werden wütend; auch das ist verständlich. Am Ende ist es oft für alle eine Erleichterung, so aufreibend, wie alles war. Auch bei mir – mit dem Selbstzweifel, ob ich das so empfinden darf. Und der Dankbarkeit, dass sein Leben erfüllt war von so viel Gutem, trotz mancher ungünstigen Startvoraussetzungen als Kriegskind Jahrgang 1937.

Die Geschwindigkeit. Sterben heißt loslassen. Und zwar auch die Vorstellung, dass man es irgendwie steuern könnte. Die einen quälen sich; andere verlöschen schneller als die Familie sich vorbereiten kann. Es gibt auch kein Ideal: Langes Siechen oder schleichende Demenz kann für alle genauso nervenaufreibend sein wie wenn ein geliebter Mensch plötzlich aus dem Leben gerissen wird. Albrecht war ein Meister der Hoffnung; das half ihm. Bis drei Tage vor seinem Tod bewahrte er sich seine äußere Heiterkeit und Zuversicht. Erst als dann der Appetit auf Essen und Flüssigkeit vollends versiegte, verlor er auch seine innere Kraft.

Die Einsicht. Als Gläubige sind wir in jeder Phase des Lebens in Gott geborgen, auch in der ganz am Schluss. Ja, der Tod ist der letzte Feind, aber er ist überwunden, und so dürfen wir behütet auf die letzte Reise gehen. Wie das Leben, so ist auch das Sterben keine eigene Leistung: Wir sind ganz angewiesen auf die anderen und auf unseren Schöpfer, wir dürfen uns fallen lassen. „Alt und lebenssatt“ ist das Ideal; wo wir es nicht erreichen, leben wir dennoch aus der Gnade. – Mein Vater hat in den letzten Jahrzehnten oft und gerne Beerdigungen gehalten, um Menschen einen letzten Trost mitzugeben. Nun lassen wir uns trösten durch die Verheißung, dass wir uns im ewigen Leben wiedersehen dürfen.

Stefan Höschele, Professor für Systematische Theologie an der ThH Friedensau

Bild der THH Friedensau
Albrecht Höschele am Tag seiner letzten Predigt
Foto: privat