Interview mit Kirchenhistoriker zur Geschichte von Friedensau

03. Feb. 2021

Kommen „die“ Cornflakes aus Friedensau? Wie Dr. John Harvey Kellogg das gesunde Frühstück in die Nährmittelfabrik an der „Klappermühle“ brachte.

Interview des Journalisten Stephen Zechendorf, Burger Volksstimme, mit Kirchenhistoriker Dr. Johannes Hartlapp.

„Hartnäckig hält sich das Gerücht, in Friedensau seien die berühmten Kellogg‘s Cornflakes erfunden worden. Das stimmt aber – leider – nicht. Jedoch hat der berühmte Namensgeber der Knusperflocken aus Amerika durchaus einen gesunden Eindruck auf Friedensau gemacht.

Einer, der schon vor Jahren dieser Thematik nachgegangen ist, ist Wolfgang Hartlapp. Er war von 1963 bis 1994 Dozent am Theologischen Seminar und der späteren Hochschule. Er baute damals ein kleines Archiv auf und entwickelte daraus das Museum. In seinem Artikel „Der Cornflakes-Erfinder Dr. Kellogg und Friedensau“ geht Hartlapp umfassend auf den Zusammenhang von Frühstücks-Cerealien und Wald-Idylle ein. Darin blickt er bis in die Gründungsjahre des Ortes zurück. Denn mit Gründung der Missions- und Industrieschule entstanden ab dem Jahr 1899 auf dem Grundstück einer einsam liegenden Wassermühle mit Landwirtschaft eine kleine Siedlung der Siebenten-Tags-Adventisten und ein Sanatorium. Noch bevor das Sanatorium und die Schulgebäude des Predigerseminares entstanden, wurde Ende 1899 ein Gebäude neben der bereits bestehenden Klappermühle errichtet. Das zweistöckige Gebäude steht immer noch und beherbergt heute die Räume für die Jugendarbeit in Friedensau.

Fleischersatz und Weizenflocken

Im Jahr 1900 nahm hier eine Nährmittelfabrik ihren Betrieb auf und stellte Getreideprodukte für das Sanatorium her. „Zu den ersten Produkten zählten Vollkornbrot, Zwieback, Biskuit und Nussbutter, dann auch Bromose, ein Nussprodukt als Fleischersatz, und Weizenflocken“, zählt Wolfgang Hartlapp in seinem Artikel auf. Im Juli 1901 ging das Sanatorium als „physikalisch-diätätische Heilanstalt“ in Betrieb. Der erste Leiter des Sanatoriums, Dr. med. A. J. Hoenes, ein Deutsch-Amerikaner, war nämlich zuvor Assistenzarzt bei einem gewissen Dr. John Harvey Kellogg (1852 bis 1943) in Nordamerika gewesen. Hoenes muss sehr beeindruckt gewesen sein von seinem amerikanischen Vorbild. „So lag es nahe, dass die Friedensauer Heilstätte nach den Grundsätzen und Methoden Dr. Kelloggs aufgebaut wurde“, schreibt Wolfgang Hartlapp in seinen Ausführungen. Das betraf unter anderem die Lichtkuren, welche auch in Friedensau zur Anwendung kamen – und die Ernährung für die Patienten.

Kellogg: Buchautor, Chirurg und Erfinder

Hartlapp beschreibt in seinen Ausführungen den amerikanischen Dr. Kellogg als einen ausgezeichneten Chirurgen, Buchautor und Erfinder medizinischer Geräte: „Durch ihn wurde die kleine adventistische Heilstätte in Battle Creek, Michigan, zu einem der bekanntesten Krankenhäuser in Nordamerika.“ Kein Wunder also, dass auch das Friedensauer Sanatorium damit Werbung macht: Man wirbt damit, „ausgebildete Pfleger und Pflegerinnen aus dem berühmten Battle Creek Sanitarium, welches unter der Leitung Dr. J. H. Kellogg’s steht“, zu bekommen. Weiter heißt es in der damaligen Werbung: „Im Sanatorium Friedensau kommen die Dr. J. H. Kellogg’schen Nahrungsmittel und sein System der Speisezubereitung hauptsächlich zur Anwendung.“ Denn auch auf dem Gebiet der Ernährungstherapie machte sich Dr. John Harvey Kellogg einen Namen. Als überzeugter Vegetarier wollte er das volle Getreidekorn stärker in die Ernährung einbeziehen, weiß Hartlapp: „Schon während seines Medizinstudiums begann Kellogg mit Nahrungsmitteln zu experimentieren. Diese Versuche setzte er fort, als er 1876 mit der Leitung der adventistischen Heilstätte in Battle Creek beauftragt wurde.“

Liest man sich die Liste der „Erfindungen“ von Kellogg durch, muss man sich fragen, ob es zuvor überhaupt „Frückstücke“ gegeben haben konnte: Kellogg soll über 80 neue Getreide- und Nussprodukte kreiert haben, so etwa die Erdnussbutter und den Getreidekaffee. Auch die Battle-Creek-Frühstücksnahrung „Granola“ entsteht, ein laut Hartlapp „feinkörniger, leicht verdaulicher und vollwertiger Fleischersatz aus verschiedenen Getreidekörnern“. 1895 entwickelte Kellogg die ersten Weizenflocken namens „Granose“, 1898 folgt die erste Maisflocke mit dem Namen „Sanitas Cornflakes“. „Der große Wurf aber“, so schreibt es der Friedensauer Wolfgang Hartlapp, „gelang Dr. Kellogg mit der Herstellung der knusprigen Getreideflocke.“ Kellogg sei es gelungen, die Zellen des Getreidekorns durch die natürlichen Kräfte des Wassers und der Wärme aufzuschließen, zu walzen und knusprig zu rösten. Schon früh wurde aus der reinen Krankenhausversorgung ein vielversprechendes Geschäftsfeld: Kelloggs jüngerer Bruder Will Keith (1860 bis 1951), stieg im Jahr 1880 als Buchhalter und Geschäftsführer im Krankenhauses ein. Mit ihm begann die Verbreitung der neuen und gesunden Lebensmittel über die Krankenhausverpflegung hinaus. 26 Jahre lang arbeiteten die Brüder zusammen. Wegen unterschiedlicher Prioritätensetzungen kam es jedoch zum Bruch. Dem Arzt lag die Entwicklung des Krankenhauses mehr am Herzen. Der Geschäftsmann hingegen wollte die Erweiterung der Cornflakesproduktion vorantreiben. Im Jahre 1906 wurde Will Keith Kellogg Geschäftsführer der „Battle Creek Toasted Cornflakes Company“, dem Vorläufer der heutigen Kellogg Company.

Die berühmtesten Flocken wurden hier nie hergestellt

Und in Friedensau? Dort wurden in der „Friedensauer Nährmittelfabrik“ nach dem großen Vorbild aus Amerika ebenfalls gesunde Lebensmittel hergestellt. In den Unterlagen von Wolfgang Hartlapp befindet sich auch ein historisches Prospekt. Darin heißt es: „Auf Grund geduldiger Versuche und gründlicher Studien unter Leitung von Dr. J. H. Kellogg ist es gelungen, eine Anzahl hygienischer Nährmittelprodukte herzustellen, die ihre Probe bestanden haben, in der ganzen Welt mehr und mehr bekannt geworden sind ...“ Und weiter: „Diese Nährmittel werden vom Deutschen Verein für Gesundheitspflege in Friedensau von einer von Dr. Kellogg autorisierten und unter seiner Leitung ausgebildeten Kraft hergestellt.“ Manche der Produkte aus Friedensau tragen sogar den gleichen Namen wie jene in Battle Creek, so etwa „Granola-Fleischersatz“ oder „Granose-Weizenflocken“. Andere Produkte wurden hier dagegen nicht hergestellt: die berühmten Cornflakes etwa. Hier dürften rechtliche Gründe eine Rolle gespielt haben. Damit ist klar, in Friedensauz wurden Kellogg‘s Cornflakes weder erfunden, noch hergestellt. Aber wenigstens darf die „Friedensauer Nährmittelfabrik“ für sich in Anspruch nehmen, das erste Knusperflockenwerk in Deutschland gewesen zu sein, tröstet Wolfgang Hartlapp. Dr. John Harvey Kellogg soll sich übrigens mehrmals in Europa aufgehalten und einmal auch Friedensau besucht haben. Das war im Juli 1902 im Rahmen einer internationalen Lagerversammlung der Adventisten.

Gesunde Kost bis heute wichtig in Friedensau

Wie aber ging es weiter mit der Friedensauer Nährmittelfabrik? 1907 kehrte Sanatoriumsleiter Dr. Hoenes wieder nach Amerika zurück. Sein Nachfolger, Dr. Erich Meyer, leitete die Heilstätte bis zu deren Auflösung 1922. Warum die Schließung erfolgte, weiß Wolfgang Hartlapp: „Die Anfahrt durch die sandigen Waldwege erwies sich auf die Dauer als großes Hindernis für den Betrieb des Sanatoriums. 1920 hatte die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten stattdessen in Berlin-Zehlendorf bereits ein Krankenhaus eröffnet.“ Aus den gleichen Umständen sei schon 1914 die Nährmittelfabrik nach Hamburg verlegt worden. Später zog das Unternehmen nach Lüneburg und firmiert heute als DE-VAU-GE Gesundkostwerk Deutschland.

In Friedensau weist noch heute eine historische Werbung an der Giebelwand eines Gebäudes auf die „Friedensauer Nährmittelfabrik“ hin. Die Fabrik gibt es nicht mehr. Aber auch heute noch wird etwa in der Mensa der Theologischen Hochschule höchster Wert auf eine gesunde und fleischlose Ernährung gelegt.

Text und Copyright: Burger Volksstimme | Stephen Zechendorf (Möckern), Quelle: Burger Volksstimme, 20. Januar 2021, S. 19; https://digital.volksstimme.de/volksstimme/34439/

Bild der THH Friedensau
Ein Blick auf den „Lehmann‘schen Backofen“ in der Friedensauer Nährmittelfabrik
© Archiv Friedensau | Johannes Hartlapp