Die Krise als Chance sehen

28. Apr. 2020 / Lernen & Studieren

Ich erinnere mich noch genau an die Zeit vor der „Corona-Pandemie“. Es scheint fast so, als wäre es schon Wochen her, denn ein gewisser „Lagerkoller“ macht sich breit. Als Student an der Theologischen Hochschule Friedensau haben sich für mich etliche Dinge verändert. Gehe ich für das Mittagessen zur Mensa, gibt es dort keine vielfältige grüne Selbstbedienung, sondern eine Bedienung durch die Mensamitarbeiter – und wir sitzen jeder nur einzeln an den Tischen. Möchte ich ein Buch ausborgen, dann schreibe ich vorher eine Mail und mein Buch wird an einem separaten Übergabeort platziert, weil die Bibliothek für die Öffentlichkeit geschlossen ist. Die Vorlesungen finden größtenteils weiterhin statt, verständlicherweise über Online-Plattformen. Alle Präsenzveranstaltungen und Begegnungsmöglichkeiten sind abgesagt und werden auf digitaler Ebene angeboten.

Aus meiner Perspektive stehen die guten Dinge im Fokus. Dies ist für mich generell ein didaktisches Mittel bei meiner zukünftigen Tätigkeit als Sozialpädagoge, stets die Ressourcen und Mittel im Blick zu behalten und keine defizitorientierte Brille zu tragen. Beispielsweise bin ich zurzeit viel flexibler in der Gestaltung des Tages und strukturierter beim Erledigen meiner Aufgaben. Es ist zeitintensiver und anstrengender, den Lernstoff größtenteils für sich selbst zu erarbeiten, jedoch habe ich auch den Eindruck, dass ich dafür viel größere und nachhaltigere Lernerfolge erziele. Die herausfordernde Situation versetzt uns in die Lage, unser komplettes Leben anders zu gestalten. Das ist manchmal richtig anstrengend! Obwohl das „Social-Distancing“ einen großen Einschnitt in das Privatleben darstellt, erlebe ich dadurch nun verstärkt einen besseren Zusammenhalt innerhalb meiner Familie. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, dass ich jemals so viel telefoniert habe, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben.

Im Gespräch mit anderen Studierenden habe ich festgestellt, dass wir sehr viel lernen durch die neue Situation. Mir wurde öfter berichtet, dass die Menge an Lerninhalten das zu bewältigende Maß übersteigt, weil der Dozent noch keine Vorerfahrung über die Zeitintensität beim alleinigen persönlichen Erarbeiten der Lerninhalte hat. In diesem Fall wird der persönliche Austausch zwischen Dozenten und Studenten stärker, denn die Dozenten sind sehr verständnisvoll und auf unser Wohl bedacht. Sie passen nach Absprache die Inhalte und Online-Vorlesungen an. Weiterhin ist es belastend, die Einschränkungen in der Alltags- und Freizeitgestaltung auf längere Zeit durchzuhalten. Nur durch viel Bewegung und Beschäftigung kann ich mich von der psychischen Belastung ablenken. Andere Studierende sehe ich spazierengehen, meistens alleine oder zu zweit mit dem erforderlichen Mindestabstand. Besonders Familien mit Kindern und auch ältere Menschen merken stark die Einschränkungen im Alltag. Dementsprechend finde ich es gut, dass es einen Lieferservice für das Essen und einen Einkaufsservice gibt. Die sozialen Netzwerke, die speziell für diese Krisenzeit gebildet wurden, repräsentieren den Gedanken der Gemeinschaft und der gegenseitigen Unterstützung.

Werden wir jemals wieder zur Normalität zurückkehren? Wie werden unsere Prüfungen und Vorlesungen in Zukunft aussehen? Bohrende Fragen zur Sicherheit der eigenen Gesundheit treten auf! Viele dieser Fragen beschäftigen uns momentan, und doch werden wir heute keine abschließende Antwort erhalten. Ich frage mich dabei, ob dies vor der Corona-Krise auch schon der Fall war. War ich jemals in der Lage, mein Leben und die Dinge, die mir wichtig sind, in der Hand zu behalten? Ich glaube, wir sollten die Vorstellung ablegen, dass unser Leben nur dann funktioniert, wenn wir die Dinge vorher komplett überschauen und stets darauf hoffen, dass unser Planen aufgeht. Viel besser ist doch der Gedanke, dass wir den aktuellen Zustand annehmen und ihn fortwährend justieren. Zum Beispiel korrigiert der Autopilot im Flugzeug Tausende Male den Kurs. So sehe ich als Student den aktuellen „Lagerkoller“ nicht als Dauerzustand. Die Situation wird sich sicherlich noch mehrfach ändern, so wie sich unser Leben nur durch Veränderung und Korrigieren entwickeln kann. Jede Krise als Chance zu sehen, sich zu verändern und Neues zu lernen oder zu entdecken, ist für mich eine Perspektive und Lichtblick in dieser Zeit!

Tobias Nitzsche, B.A. Soziale Arbeit, 4. Fachsemester.