Kasualien im persönlichen Leben

25. Sep. 2019 / Wissenschaft & Forschung

Die Bedeutung der Kirchen für die Bevölkerung, ja auch für Kirchenmitglieder, scheint zurückzugehen, der Einfluss auf das Leben der Menschen schwindet. Kirchenmitgliedschaft und Gottesdienstbesuch nehmen ab. Doch ein Bereich ist offensichtlich dabei ausgenommen, hat im Gegenteil wachsenden Zulauf: die Kasualien. Interessanterweise schätzen Menschen, wie Umfragen zeigen, das Kasualhandeln der Kirchen hoch ein und schreiben ihnen eine große Kompetenz zu.

Kasualien werden auch Amtshandlungen oder kirchliche Handlungen genannt. Das Wort kommt von casus (lat: Fall) und meint eine gottesdienstliche Handlung in Bezug zu einer konkreten Situation, also dem jeweiligen „Fall“. „Kasualien sind durch einen expliziten Bezug auf lebensgeschichtliche Situationen gekennzeichnet.“[1] Die klassischen Kasualien sind Taufe, Trauung und Bestattung; weitere kirchliche Handlungen zu lebensgeschichtlichen Ereignissen wie Kindersegnung, Einschulungsfeier oder Krankensalbung kommen hinzu.

Kasualien bestehen in der Regel aus Wort und Handlung, also aus Predigt und Ritus. Ein Ritus ist ein religiöser Brauch in Worten, Gesten und Handlungen, der einer bestimmten liturgischen Ordnung folgt. Diese rituellen Handlungen schaffen durch ihre Vertrautheit Sicherheit und Vergewisserung, sie bringen eine innere Einstellung zum Ausdruck und ermöglichen einen sozial akzeptierten Ausdruck von Gefühlen. Da Rituale immer in Gemeinschaft stattfinden, schaffen oder bestätigen sie auch Gemeinschaft. Vor allem aber markieren sie einen Wechsel: Ein alter Zustand wird verlassen, ein neuer wird eingenommen. Das können Anfänge neuer Lebensphasen sein (Einschulung; Taufe; Trauung), Herausforderungen im Leben wie Alter und Krankheit (Krankensalbung) oder ganz markant der Eingang ins Leben (Geburt; Kindersegnung) oder der Ausgang aus dem Leben (Bestattung). An solchen Stellen oder Wechseln der Lebensgeschichte wünschen sich Menschen Begleitung durch ein Wort der Orientierung oder des Zuspruchs und durch Handlungen, die ihnen Sicherheit und Vertrautheit schaffen. Besonders wichtig ist ihnen die Vermittlung des göttlichen Segens. „Man kann den Segenszuspruch als die Form der Zuwendung bezeichnen, die den Kern aller Kasualien ausmacht.“[2]

Damit kommt den Kasualien auch eine missionarische Bedeutung zu: Sie sind oft der einzige Berührungspunkt vom Menschen mit den Kirchen beziehungsweise der christlichen Botschaft. Dann gilt es, die biblische Botschaft in Wort und Handlung unaufdringlich und doch klar zu vermitteln, sodass sie dem Evangelium gerecht wird und den (säkularen) Teilnehmern Sinn stiftet. Man kann bei der Kasualpredigt primäre und sekundäre Hörer unterscheiden: die einen, die direkt vom Kasus betroffen sind (wie Brautpaar; Täuflinge) und auch klare Erwartungen an die kirchlichen Verkündigungen und Handlungen haben. An diese richtet sich die Kasualie zuerst. Die anderen, die als Gäste und Freunde oft kaum kirchliche Bildung und Bindung haben und die auf einer zweiten Ebene mit der christlichen Botschaft erreicht werden sollen.

Als Jesus auf dieser Erde war, bestand sein Dienst aus drei Bereichen: a) Verkündigung durch Predigen und Lehren, b) Helfen und Heilen und c) Feiern und Mahlgemeinschaft bei besonderen Anlässen. Kirchen sind gut beraten, diesen dritten Bereich zu stärken. Dazu bieten Kasualien gute Gelegenheiten: Menschen in den Wechselfällen des Lebens zu begleiten, Anteil zu nehmen, mit ihnen zu feiern und nicht zuletzt ihnen den Segen des guten Gottes zuzusprechen.

Prof. Dr. Roland E. Fischer

[1] Albrecht Grözinger: Homiletik. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2008, 303.

[2] Eberhard Winkler, zitiert in Helge Stadelmann und Stefan Schweyer: Praktische Theologie. Ein Grundriss für Studium und Gemeinde. Gießen: Brunnen-Verlag 2017, 257.

Roland Fischer, Rektor
Der Autor des Blog-Beitrages: Prof. Roland Fischer
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