„Warum ich Christ bin“ von D. Leutert

24. Nov. 2023 / Wissenschaft & Forschung

Von dem deutschen Philosophen Kurt Flasch gibt es ein Buch „Warum ich kein Christ bin“; es erschien 2013. Am Schluss legt Flasch eine Art Glaubensbekenntnis ab. Er verrät also, woran er glaubt. Er zitiert Hölderlin, nur einen Satz: „Immer, Liebes! gehet | Die Erd und der Himmel hält.“

Er nennt diesen Satz „religiös-poetisch“ und schreibt dazu: „Der intime Satz gibt Zuversicht, ohne etwas Kosmologisches oder Theologisches zu behaupten“ (S. 264). Wir werden auf ihn noch eingehen. Ich selber setze dem ehrlichen Bekenntnis Flaschs mein Bekenntnis entgegen: Warum ich Christ bin..

Ein winziger Blick in die Tiefe des Weltseins

Religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse berufen sich auf Vernunft, zumindest darauf, nicht im Widerspruch zu ihr zu stehen. Nun sind wir uns darüber im Klaren, dass unsere Vernunft – und eine andere, bessere steht uns nicht zur Verfügung – eine recht problematische Angelegenheit ist: begrenzt, in jeder Hinsicht nur ein winziger (schiefer?) Blick in die Tiefe des Weltseins. Mehr zu erkennen würden wir nicht fassen, wohl auch nicht ertragen. So ist also die Welt eigentlich „ganz anders“. Aber wir sind auf unsere Vernunft angewiesen, wollen sie auch gebrauchen. Hätten wir eine Alternative? Freilich ahnen wir das hinter unserer Vernunfterkenntnis liegende Höhere, Tiefere – Unsagbare.

Nichts Mächtigeres als die Liebe

Für mich steht – vernünftigerweise also – fest, dass es hinter? vor? über? dieser unserer „Welt“ etwas Größeres, Ausschlaggebendes gibt. Evolution, Entwicklung hin oder her – da muss doch etwas sein oder zumindest gewesen sein, das entwickelt, „ausgewickelt“ wurde. Aus dem Nichts kommt nichts. Ernst Jünger macht sich über den „Urknall“ lustig. Es sei typisch für unsere Zeit, alles mit einem Knall beginnen zu lassen. Ich ziehe die Liebe vor. Denn was da auch war (oder ist!), es muss von einer unsagbar mächtigen Liebe erfüllt sein: Nach meiner Überzeugung gibt es nichts Mächtigeres, Siegreicheres als die Liebe. Die Weltgeschichte, auch unsere persönliche Erfahrung zeigt, dass von den vielen psychischen Kräften (zum Beispiel das Böse, der Neid, die Bequemlichkeit, Großmut, Zuverlässigkeit und so weiter) die Liebe mit Abstand am stärksten ist. Sie überwindet alles – und sie ist der „Urquell“, das Letzteigentliche also des Universums und allen Lebens.

Liebe ist immer eine individuelle Beziehung

Ich vermute, dass dem viele Zeitgenossen zustimmen. Doch ich gehe einen Schritt weiter. Ich nenne diese „Ur-Liebe“ Gott. Ich glaube also, dass diese Urkraft nicht etwas Unpersönliches ist, nicht einfach nur Substanz, Wesenheit, Atmosphäre, Algorithmus oder dergleichen – sondern ein Ich, Person, also ansprechbar, kontaktbereit. Es kann vernünftigerweise auch gar nicht anders sein. Denn Liebe, wirkliche Liebe geht auf mich zu, blickt mich an, streckt die Hand aus, ja, will mich berühren. Liebe ist immer eine individuelle Beziehung, etwas „Persönliches“ also. Darum bete ich mit dem ältesten christlichen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden.“

Der Glaube an Jesus Christus ist eine persönliche Entscheidung

Ich gehe wieder einen Schritt weiter: Ich nenne mich Christ. Im eben zitierten altchristlichen Bekenntnis heißt es dann, im 2. Artikel „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes ein(zig)geborenen Sohn …“ Vielleicht wird mancher fragen: Muss das sein? Genügt nicht Gott?

Für den (kaltschnäuzigen) Historiker ist Jesus von Nazareth (gestorben 30 n.) ein Problem. Seine geschichtliche Existenz, sein Wirken in Palästina zur Zeit der ersten römischen Kaiser ist zwar gesichert. Es gibt genug seriöse Quellen, die ihn bezeugen. Aber diese, wie gesagt, glaubwürdigen Texte, berichten eben auch Ereignisse total ungewöhnlicher, singulärer Art, vor allem die Auferstehung „am dritten Tag“. Kurz: Die „historische Vernunft“ fordert weder den Unglauben noch den Glauben. Du musst selbst entscheiden! Der Glaube an Jesus Christus ist eine ganz eigene Angelegenheit. Die Wissenschaft nimmt uns weder das Dagegen noch das Dafür ab. Allerdings gibt es durchaus bedenkenswerte Vernunftargumente für ihn.

Gottes Liebe offenbart sich im Opfer

Liebe, wahre Liebe, ist konkret, ist Tat, ist also mehr als nur Gefühl, Stimmung, schöne Worte. Die eigentliche, tiefste Liebe offenbart sich im Opfer, ja im Selbstopfer – für uns, zur Tilgung unserer Schuld. In letzter Tiefe ist es das Selbstopfer Gottes. Denn in Jesus kommt Gott zu uns, streckt er mir seinen Arm herüber. Hier freilich muss menschliches Begreifen kapitulieren.

Hier können wir nur ergriffen sein, in Ehrfurcht staunen. Manch einem mag jene Tat des Selbstopfers (Gottes!) absonderlich, übersteigert, ja überflüssig erscheinen. Wir vermögen sie nur zu begreifen oder in ihrer Notwendigkeit zu erahnen, wenn wir versuchen, uns die Tiefe des Bösen zu vergegenwärtigen. Das Böse: eine uns letztlich rätselhaft unheimliche Macht.

Die Auferstehung Jesu „am dritten Tag“ ist einerseits quellenmäßig bezeugt – andererseits eben unfassbar. Alles Nachdenken und Reden über den christlichen Glauben kommt immer wieder an den einen Punkt, den Kern der Sache: die Liebe. Liebe in ihrer letzten, überwältigenden Tiefe. Den Kritikern halte ich entgegen: Was uns berichtet wird von Anfang bis Ende, von der Geburt Jesu, den Wundern, bis zur Ankündigung des künftigen Gottesreiches, ist mehrfach bezeugt. Die Texte stammen nicht aus späterer Zeit. Es sind nur wenige Jahre nach Jesus. Die Autoren berichten ehrlich und offen über ihr eigenes Versagen. Abweichungen voneinander und Widersprüche bleiben stehen.

Das jüdische Volk – ein Phänomen

Über Jesus und den christlichen Glauben kann nicht gesprochen werden ohne den Blick auf den Hintergrund: das Judentum. Es gibt weltweit kein rätselhafteres geschichtliches Phänomen. Dieses, gerade dieses Volk hat Gott erwählt als sein Volk, dem er die Grundsätze eines heilsamen individuellen und gesellschaftlichen Lebens enthüllte und aus dem er Jesus von Nazareth als den Christus – den Berufenen – bestimmt.

Dieses winzige Volk war geografisch angesiedelt am Scharnier dreier Kontinente und geopolitisch am gefährlichsten Punkt, zwischen verfeindeten Großmächten. Seit Jahrtausenden sind die Juden gehasst und verfolgt, verstreut über die Welt. Sie sind letztlich nicht definierbar – weder Nation noch Rasse oder Sprache – und doch da, heute wie seit Jahrtausenden. Ihr Geschenk an die Menschheit bleibt, abgesehen vom religiösen, die Idee des modernen, demokratischen Staates. Am Sinai bot ihnen Gott einen Bund an und zeigte ihnen, dass Staat und Religion humanerweise auseinanderzuhalten sind – im Gegensatz zur Staatsvergottung. Mein Gewissen soll dem Staat kritisch gegenüberstehen. Darum spricht Jesus: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21).

Rückblick auf ein Leben mit Gott

Ich schreibe dies alles 2018, fast neunzigjährig, und blicke auf mein Leben zurück wie einer, der in die Weite einer Landschaft schaut. Ich kenne solche Erlebnisse von Wanderungen im sächsischen Erzgebirge her. Man vergisst solche Eindrücke nicht. Ich darf heute sagen: Gott hat mich überreich beschenkt. Ich habe Wunder erlebt, Bewahrungen, Begegnungen. Ich habe Gott erfahren, nicht zuletzt in der Gemeinde Jesu Christi – ob katholisch oder evangelisch, ob adventistisch oder sonstwie. Ich habe viele wunderbare Menschen gefunden. Es war ein reiches Leben. Es war auch ein Leben mit Schuld – deren Vergebung ich gewiss bin.

Die Liebe Gottes spricht uns an

Darf ich noch einmal auf den eingangs zitierten Philosophen Kurt Flasch zurückkommen. Er liebt jenen Hölderlin-Vers: „Immer, Liebes! gehet | Die Erd und der Himmel hält.“

Ist das nicht ein religiöses Bekenntnis? Über allem, hinter allem stehe „etwas“, das alles hält – und uns Trost gibt. Oder überinterpretiere ich? Spricht Hölderlin, spricht Flasch im Grunde nicht auch von der seinsumfassenden Liebe? Und ist es nun wirklich so schwer denkbar, dass diese Liebe – eben weil sie Liebe ist – uns anspricht und sich opfert?

Kurzfassung:

  • Das Universum kommt vom denkbar Mächtigsten.
  • Das denkbar Mächtigste ist die Liebe.
  • Liebe ist Person.
  • Liebe zeigt sich letztlich im Opfer.

Dieter Leutert hat diesen Text im November 2018 geschrieben. Im Jahr 2016 erschien ein Buch mit seinen Aufsätzen: »Von hinten gesehen«. Verlag Books on Demand | ISBN 13-978–3741250545 | 204 Seiten | Paperback 14,80 EUR | Zu beziehen über den Buchhandel.

Bild der THH Friedensau
Christus – Mitte unseres Lebens. Das Christusmonogramm in der Rosette der Friedensauer Kapelle.
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Dieter Leuterts Buch erschien 2016 – darin ist der Text "Warum ich Christ bin" nicht enthalten, dafür aber viele andere interessante Essays.