Warten auf den Advent

01. Dez. 2019 / Lernen & Studieren

Pünktlich zur Adventszeit ist eine Studie erschienen [1], die bestätigt, was wir immer geahnt haben. Demnach verbringen wir mehr als ein Drittel unserer Zeit damit, auf etwas zu warten. Nicht, dass wir ein solches Ergebnis nicht erwartet hätten, aber es stimmt schon nachdenklich. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung sind 25 bis 30 Jahre Wartezeit. Wobei es so etwas wie reine Wartezeit genaugenommen ja nur in den allerseltensten Fällen gibt. Dafür sind wir viel zu beschäftigt. Meistens vollzieht sich unser Warten parallel zu anderen Tätigkeiten. Wir arbeiten an einer Sache und warten nebenbei. Dabei warten wir auf alles Mögliche: auf die Kinder, auf die Post, auf die Nachbarn und darauf, dass die Nachbarn unsere Postsendung rausrücken, auf einen Anruf, auf den Steuerbescheid, auf die Steuerreform. Unsere jungen Erwachsenen warten auf den ersehnten Studienplatz. Auf die Musterung hat man früher gewartet und sich gefreut, wenn man ausgemustert wurde.

Mancher wartet darauf, gebraucht zu werden, endlich den Traumjob zu finden. Unternehmer warten auf einen Großauftrag, eine zunehmende Zahl noch Berufstätiger wartet auf die Rente.  Und wir warten natürlich auf Weihnachten. Und die Kinder warten auf den Weihnachtsmann. Wir warten auf die freien Tage, das gute Essen, auf den Besuch und spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag darauf, dass der Besuch wieder fährt. Nein, Warten macht keinen Spaß. Nach Möglichkeit meiden wir alles, was mit Warten zu tun hat: Warteschlangen, Warteschleifen, Wartezimmer, Wartelisten, Wartesemester, Wartehäuschen, und bis das Auto in der Werkstatt gewartet wird, muss man für gewöhnlich auch eine ganze Weile warten. Dabei ist Warten immer auch mit Hoffnung verbunden. Der Hoffnung, dass es dann, wenn das Ersehnte eingetroffen ist, aber auch wirklich besser wird. Der Hoffnung, dass sich etwas ändert. Der Hoffnung, dass etwas lang Ersehntes eintrifft. Vielleicht auch die Hoffnung, dass ein Traum in Erfüllung geht. Und nicht zuletzt die Hoffnung, dass das Warten bald ein Ende haben wird.

Advent heißt Ankunft. Das Warten hat ein Ende. Am Rande der Weihnachtsgeschichte – viel unfrequentierter als Maria und Josef, die Hirten oder die Weisen aus dem Morgenland – berichtet das Neue Testament (Lukas 2,27-30) von einem Menschen, Simeon, der sein Leben lang darauf gewartet hat, den Heiland zu sehen:

27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,

So war es Simeon zugesagt worden. So ist es wahr geworden zu seiner Zeit. Wie Simeon verheißen war, dass er Jesus sehen würde, ist uns verheißen, dass Christus wiederkommen wird. Trotz aller Wirrnis, trotz unserer Ängste und Sorgen, trotz aller Fragen und Zweifel. Trotz aller Apathie gegen das Warten, kann man sich an das Warten gewöhnen. Warten kann zur Tradition werden. Und so schön die Weihnachtstradition ist, kann sie doch auch vom Eigentlichen ablenken. Wenn „Jingle Bells“ lauter in unserem Bewusstsein klingt, als die Zusage eines zweiten Advents und wenn wir zur Weihnachtszeit zwar allerlei Türchen öffnen, die Herzen aber fest verschlossen bleiben. Wie Simeon, können wir das Warten nicht abkürzen. Wir können es auch nicht beschleunigen und wir sollten nicht so tun, als ob es in unserer Hand läge. Wir tun gut daran mit dem alten Simeon Adventhoffnung auch als Adventgeduld zu buchstabieren.

„Advent feiern heißt warten können.“ Dietrich Bonhoeffer hat es so beantwortet: „Warten ist eine Kunst, die unsere ungeduldige Zeit verlernt hat. Sie will die reife Frucht brechen, wenn sie kaum den Sprößling setzte; aber die gierigen Augen werden nur allzuoft betrogen, indem die scheinbar so köstliche Frucht von innen noch grün ist, und respektlose Hände werfen undankbar beiseite, was ihnen so Enttäuschung brachte. Wer nicht die herbe Seligkeit des Wartens, das heißt des Entbehrens in Hoffnung, kennt, der wird nie den ganzen Segen der Erfüllung erfahren. (…) Auf die größten, tiefsten, zartesten Dinge in der Welt müssen wir warten, da gehts nicht im Sturm, sondern nach den göttlichen Gesetzen des Keimens und Wachsens und Werdens“ [2]. In diesem Sinne wollen wir miteinander Advent feiern und in die Weihnachtszeit gehen, ganz buchstäblich zwischen 1. und 2. Advent.

Dr. Alexander C. Schulze

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article184435884/Europaeischer-Vergleich-So-viel-Zeit-verbringen-die-Deutschen-mit-Einkaeufen.html [01.12.2019].
[2] DBW 10, 529.

Autor des Blogbeitrages
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